Menschen, die auswandern, lösen sich für ihre Herkunftsländer in Luft auf. Für die Abertausenden von Rückkehrenden ist das ein Riesenproblem. Sie fangen nicht nur materiell meist wieder bei Null an. Nur selten verfügen sie über die nötigen Papiere, die ihnen und ihren Kindern einen Neuanfang ermöglichen. Gut, dass eine Organisation in Mazedonien sich um die kleinen und großen Belange der Rückkehrenden kümmert.
Wer auswandert, ohne sich abzumelden – und das ist der Normalfall auf dem Balkan –, ist aus Sicht des Staates spurlos verschwunden. In den meisten Balkanstaaten ist die Situation für Rückkehrende deshalb ein Alptraum, sie werden von staatlichen Behörden schlicht ignoriert. Lediglich in Kosovo existiert eine Regelung zur unbürokratischen Registrierung der Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Besonders schwierig ist die Lage für die im Ausland geborenen Kinder. Die Erzieherin Marina Mechmedow, die im Roma- Nachbarschaftszentrum im mazedonischen Kumanovo arbeitet, hat damit täglich zu tun. „Ohne persönliche Identifikationsnummer geht gar nichts, die Menschen existieren nicht für den Staat“, berichtet sie. Es fehlen Papiere und Geburtsurkunden – oder, selbst wenn Papiere vorhanden sind, manchmal einfach das Geld für die Übersetzung ins Mazedonische. „Dann“, so Marina Mechmedow, „können die Kinder nicht eingeschult werden.“
In Kumanovo soll sich das ändern. Die Nichtregierungsorganisation DROM, was auf Romanes „Straße“ bedeutet, kümmert sich hier seit rund zwanzig Jahren um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma-Bevölkerung. Seit 2015 beschäftigen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt mit der Notlage der Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Unterstützt werden sie dabei vom GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“, das in den Ländern des Westbalkans daran arbeitet, die sozialen und Menschenrechte benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu stärken. Mit Hilfe des GIZ-Projekts konnte DROM 2017 einen Kindergarten für die Kinder benachteiligter Gruppen in einem der städtischen Nachbarschaftszentren einrichten. Aktuell wird der Kindergarten von etwa 30 Drei- bis Fünfj.hrigen besucht. Hier finden sie neben fachkundiger Betreuung auch Bücher und Spielzeug – für die meisten Kinder etwas, was sie von Zuhause nicht kennen.
Workshops klären Rückkehrende über ihre Möglichkeiten und Rechte auf
„Wir haben uns gefragt, was die Rückkehrenden am dringendsten brauchen“, erzählt Miki Ristovski, Projektkoordinator bei DROM. „So kam es zur Gründung des Kindergartens.“ Er stehe insbesondere Familien offen, deren Kinder wegen fehlender Papiere nicht in staatliche Kindergärten aufgenommen werden. „Wir denken“, sagt Ristovski, „dass die Kinder später eher erfolgreich eine Schule besuchen, wenn wir bereits im Kleinkindalter mit der Förderung anfangen.“
„Die Kinder, die hierherkommen, leben in sozial isolierten Roma-Gemeinschaften“, erzählt Marina Mechmedow. „Wenn sie in die Schule kommen, müssen sie zuerst Mazedonisch lernen, und dadurch fallen sie sofort zurück. Ich spreche deshalb hier nur Mazedonisch mit ihnen. Aber ich bin ja selbst Romni und spreche Romanes. Das hilft mir, mit den Eltern zu sprechen und ihr Vertrauen zu gewinnen.“ Die Arbeit mit den Eltern in Workshops ist ein wichtiger Aspekt der Arbeit mit rückkehrenden Familien. Das GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“ und DROM haben dafür gemeinsam ein Konzept entwickelt. Einmal im Monat kommen mindestens fünfzehn Personen, Männer wie Frauen, für zwei Tage zusammen und besprechen ihre Probleme, werden aufgeklärt und beraten.
Auch hier ist Marina Mechmedow aktiv. „Wir gestalten die Workshops möglichst offen, in angenehmer Atmosphäre“, erzählt sie. „Wir besprechen alles, vom Ausfüllen eines Antragsformulars über die Bedeutung von Identifikationspapieren bis zur Diskussion über Menschenrechte. Natürlich wollen wir am Ende erreichen, dass die Leute selbstständiger werden, sich ihrer sozialen Rechte bewusst sind und dafür eintreten.“
Mazedonien kann seine Probleme selbst lösen – wenn niemand mehr auswandern muss
DROM hat auf diese Weise seit 2015 etwa 200 Rückkehrer-Familien – rund 800 Menschen – betreut. Der Kontakt bleibt oft auch nach den Workshops bestehen. Häufig trifft Marina Mechmedow ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Straße im Viertel wieder. Dann lässt sie sich erzählen, wie es ihnen weiter ergangen ist. „Wenn ich ihnen begegne und sie mir von der Verbesserung ihrer Situationen erzählen“, sagt Mechmedow, „dann ist das ein sehr gutes Gefühl. Das treibt mich an weiterzumachen.“ Inzwischen treffen im Büro von DROM E-Mails ein von Roma aus Deutschland, die ankündigen, dass sie bald – freiwillig oder auch nicht – zurückkommen nach Mazedonien und dort Hilfe zur Wiedereingliederung benötigen.
Ahmet Jasharovski, der Direktor von DROM, ist optimistisch: „Wir haben es geschafft, dass sich in Kumanovo etwas bewegt.“ Damit aber gibt er sich noch lange nicht zufrieden. „Wir wollen erreichen, dass die Menschen gar nicht erst weggehen, dass sie hier im Land bleiben“, erzählt er. Sechs offene Stellen habe die kleine Organisation DROM – in einem Land mit sehr hoher Arbeitslosigkeit. „Weil so viele hier weggehen“, klagt Jasharovski, „weil sie keine Perspektive sehen.“ Dabei, so ist er sicher, könnte man die Probleme Mazedoniens in Mazedonien lösen. „Wenn soziale Rechte als Menschenrechte anerkannt und durchgesetzt werden, fühlt sich niemand mehr zur Auswanderung gezwungen.“
Text: FLMH | Fotos: ©BENNY GOLM