Mit vereinten Kräften: Warum es in Ferizaj Sozialarbeit nur noch im Team gibt

Die südkosovarische Stadt Ferizaj hat ihre Sozialarbeit grundlegend verändert. Statt auf sich alleine gestellt zu sein, arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Behörden nun Hand in Hand – unterstützt von einer Nichtregierungsorganisation, die sich für gute Regierungsführung und politische Bildung einsetzt.

Noch vor wenigen Jahren hätte Ibrahim Musliu seinen Job am liebsten an den Nagel gehängt. Zermürbt und desillusioniert war der Sozialarbeiter von seiner Arbeit im Sozialamt von Ferizaj, einer Stadt im Süden des Kosovo. Er rieb sich täglich auf, um das Leben seiner Klientinnen und Klienten zu verbessern. Vor allem für die Kinder wollte er etwas verändern, ihnen eine andere Perspektive bieten als das Leben in einem heruntergekommenen Zuhause oder auf der Straße. Aber in einer Behörde, in der nichts vernünftig organisiert war und jeder starr vor sich hinarbeitete, konnte er alleine kaum etwas ausrichten.

Inzwischen ist Ibrahim Musliu voller Zuversicht, wenn er morgens in sein Büro geht. Endlich spürt er, dass er etwas bewegen kann. Wie früher kümmert er sich vor allem um vernachlässigte Kinder, versucht Waisenkinder in Pflegefamilien unterzubringen oder Eltern davon zu überzeugen, dass ihre Kinder in die Schule gehören und nicht zum Betteln auf die Straße. Und immer öfter hat er damit auch Erfolg.

Neue Ansätze für die städtische Sozialarbeit

Dass dem so ist, haben Musliu und seine Klientel dem GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“ zu verdanken, das sich in den Ländern des westlichen Balkans für die sozialen Rechte von Minderheiten stark macht. In Ferizaj hat das Projekt eine Zusammenarbeit zwischen dem Sozialamt und der Nichtregierungsorganisation INPO initiiert – und damit die städtische Sozialarbeit grundlegend reformiert. Die Abkürzung INPO steht für „Iniciativa për Progres“. Diese „Initiative für Fortschritt“ setzt sich in den Kosovo-Städten Gjilan und Ferizaj für gute Regierungsführung und politische Bildung ein. Gemeinsam brachen die neuen Partner alte Strukturen auf, schafften ineffiziente und komplizierte Verfahren ab – und erfanden die Sozialarbeit in Ferizaj praktisch neu.

Die wohl größte Veränderung sind die neu gegründeten interdisziplinären Teams. Statt wie früher alle Bereiche der städtischen Sozialarbeit strikt voneinander zu trennen, arbeiten heute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Behörden und Disziplinen Hand in Hand. Ibrahim Musliu zum Beispiel ist im ständigen Austausch mit einer Kollegin aus der Familienfürsorge, einem Mitarbeiter aus dem Büro für rückkehrende Familien, einer Sachbearbeiterin für Sozialhilfe, einem Jugendpsychologen und einer Schulpädagogin. In interdisziplinären Teams besuchen und beraten die Kollegen und Kolleginnen bedürftige Familien zuhause.

„Früher war ich notgedrungen ein Einzelkämpfer und oft machtlos, weil ich als einzelner Sozialarbeiter eine Familie nicht wirklich gut betreuen konnte und für viele Anliegen der falsche Ansprechpartner war“, sagt Ibrahim Musliu. „Heute, wo ich die Kolleginnen und Kollegen an meiner Seite habe, und natürlich mit Unterstützung von INPO, können wir richtig viel tun für die Menschen in der Gemeinde. Endlich bieten wir eine umfassende Betreuung.“

 

Interdisziplinäre Teams sind ein Schlüssel zum Erfolg

Mit interdisziplinären Arbeitsgruppen und der Zusammenarbeit von Stadtverwaltungen und lokalen Nichtregierungsorganisationen hat das GIZ-Projekt gute Erfahrungen gesammelt und dieses Modell bereits in anderen Gemeinden des Westbalkans etabliert. In Ferizaj werden nun alle Fälle in diesen Teams besprochen. Alle überlegen von ihrer Warte aus, wie sie sich einbringen können, sie drehen und wenden den Einzelfall und entwickeln gemeinsame Ideen, was zu tun ist. Ganz wichtig ist auch, dass jede und jeder im Team über die Entwicklung der Fälle unterrichtet bleibt – auch wenn er oder sie für den Moment gar nicht mehr damit befasst ist. Diese Herangehensweise schafft eine gemeinsame Verantwortung und eine Verbindlichkeit, sie sensibilisiert die ehemaligen Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer für die Arbeit der anderen und bietet Möglichkeiten, Lösungen zu finden, die vorher nicht sichtbar waren.

Ibrahim Musliu hat gerade so einen Fall. Eltern haben ihren Sohn von der Schule genommen, weil der Schulweg zu weit war. Die Familie lebt etwas außerhalb der Stadt, zu Fuß war der Junge mehrere Stunden am Tag unterwegs, um die nächste Schule zu erreichen. Früher hätte Ibrahim Musliu hier nicht viel tun können, doch mit Unterstützung der Schulpädagogin und dem Team von INPO überzeugte er die Eltern davon, wie wichtig die Schulausbildung für ihren Sohn ist – und organisierte für den Jungen eine Mitfahrgelegenheit.

Die Partnerschaft zwischen Sozialamt und Nichtregierungsorganisation ist für Ibrahim Musliu daher ein großer Zugewinn. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von INPO sind manchmal viel näher dran an den Familien und ihren Problemen. Auf viele Fälle wären wir gar nicht aufmerksam geworden, wenn nicht jemand von INPO vor Ort gewesen wäre“, erzählt er. Er hat jetzt mehr Fälle, aber auf keinen Fall mehr Stress. „Auch, wenn wir viel zu tun haben – durch die neue Teamarbeit erreichen wir trotzdem viel mehr als früher.“ Das sei es, was am Ende des Tages zähle.

 

Text: FLMH | Fotos: ©WOLFGANG MÜLLER