Soziale Rechte sind Menschenrechte

Die Unterstützung benachteiligter Gruppen ist wichtig, aber nicht ausreichend, wenn es darum geht, gesellschaftliche Probleme nachhaltig zu lösen. Dafür muss unbedingt sichergestellt werden, dass soziale Benachteiligung nicht länger als individuelles Problem und soziale Rechte als Menschenrechte anerkannt werden.

Eda Noçka hat in Albanien lange im Staatsdienst gearbeitet. Sie kennt das albanische Rechtssystem in- und auswendig, und sie weiß, wo die Probleme liegen. Seit Jahren verfolgt sie intensiv die Reformbemühungen und den Kampf gegen Ineffizienz und Korruption, die staatliches Handeln in Albanien schwierig machen. 2011 hat Eda Noçka schließlich mit weiteren Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten die Nichtregierungsorganisation A.L.T.R.I. (Albanian Legal and Territorial Research Institute) gegründet und die Gesch.ftsführung übernommen. Seither versucht sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen, die Reform des albanischen Rechtssystems voranzutreiben.

Derzeit untersucht A.L.T.R.I. die rechtliche Situation benachteiligter Gruppen in Albanien. Gemeinsam mit dem GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“ entwickelt A.L.T.R.I. Vorschläge, wie diese Menschen über ihre Rechte aufgeklärt werden können und wie sie ihre rechtlichen Ansprüche besser durchzusetzen können – zum Beispiel über Ombudsleute, die in Albanien „Avokati i popullit“ heißen. „In unserem gemeinsamen Projekt beschäftigen wir uns vor allem mit der Rolle staatlicher Ombudsleute“, erklärt Eda Noçka. In Tirana und sieben weiteren albanischen Städten können Bürgerinnen und Bürger Beschwerden über Benachteiligungen und Rechtsverletzungen bei den Avokati einreichen.

Dazu müssen die Betroffenen ihre Rechte aber zuerst einmal kennen. Sie müssen wissen, was ihnen zusteht, wie ihre Fälle bearbeitet werden und wie behördliche Entscheidungen getroffen werden. A.L.T.R.I. und das GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“ wollen darüber hinaus sicherstellen, dass die zuständigen Stellen die sozialen Rechte ihrer Klientel in vollem Umfang gewähren – und da hapert es in Albanien gewaltig. Roma zum Beispiel oder Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden von den Verwaltungsbehörden so gut wie ignoriert – weil sie Roma sind, weil ihnen Personalpapiere oder ihren Kindern die Zeugnisse fehlen. Sie fallen durch die behördlichen Raster – genau das möchten A.L.T.R.I. und das GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“ ändern.

Dieses Vorhaben stößt bei den Verwaltungsbehörden, auf gemisse Vorbehalte daher haben es sich die Partner zur Aufgabe gemacht, mit allen Beteiligten zu sprechen und kooperative Lösungen zu finden. Das ist nicht immer ganz einfach. Insbesondere die regionalen Büros seien völlig unterbesetzt, sagt Noçka. „Wir können nicht viel mehr tun, als die Beschwerden an die Zentrale in Tirana weiterzuleiten.“ Die allerdings sei selbst überlastet.

Damit die Ombudsstellen wirkungsvoll arbeiten können, muss noch einiges passieren. Denn eigentlich sollen die Avokati selbst tätig werden und Nachforschungen anstellen, wenn ihnen Probleme zu Ohren kommen. Obwohl ihr Mandat von der Verfassung gestützt ist und sie in die politische Debatte eingreifen dürfen, klappt das bislang nur in seltenen Einzelfällen: Als kürzlich eine informelle Romasiedlung in Tirana polizeilich geräumt wurde, legten Ombudsleute dem Parlament einen Bericht darüber vor. Als im März 2018 Proteste gegen die Einführung der Straßenmaut in Kukës gewaltsam eskalierten, waren Beobachter der Ombudsstelle vor Ort und berichteten über die Vorkommnisse. Solche Formen der zivilgesellschaftlichen Kontrolle möchte A.L.T.R.I. stärken und die Avokati dabei unterstützen, ihrem politischen Auftrag in vollem Umfang nachzugehen.

Dazu müssen zum einen mehr Leute eingestellt werden. „Mit lediglich drei bezahlten Stellen in der entsprechenden Abteilung in Tirana kann eine solche Arbeit nicht geleistet werden“, sagt Eda Noçka. „Es ist klar, dass der Staat hier mehr Engagement zeigen muss. Aber es geht auch um die richtigen Werkzeuge.“ Diese Werkzeuge entwickelt A.L.T.R.I. zusammen mit dem GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“.

Die Idee ist es, landesweit einheitliche Verfahren mit den entsprechenden Prozessbeschreibungen und Methoden zu definieren, die den lokalen Büros als Arbeitsgrundlage dienen. Die Standards sollen den Avokati helfen, die Menschenrechtssituation in den Kommunen kontinuierlich zu beobachten und regelmäßige Berichte darüber zu erstellen. Die nötigen Vorarbeiten dafür haben das GIZ-Projekt „Soziale Rechte vulnerabler Gruppen“ und A.L.T.R.I bereits erledigt – die gesetzlichen Handlungsspielräume und die jeweiligen Begebenheiten in einzelnen Städten sind evaluiert und in einen Verfahrensentwurf eingeflossen, der auch schon mit der nationalen Ombudsperson abgestimmt wurde. Nun liegt der fertige Entwurf auf dem Tisch, er ist zur Diskussion freigegeben. Was jetzt schon feststeht, ist: Regelmäßige und unabhängige Berichte können die Sicherung der sozialen Recht bedeutend stärken.

 

Text: FLMH | Fotos: ©WOLFGANG MÜLLER